OH GOD ; I TRIED ; AM I LOST IN YOUR EYES ?

hi Leute, der schreiber dieses blogs ist nicht mehr am leben, aber ich lasse hier vielleicht ab und an mal was durchblicken. abgesehen davon lasse ich aber alle seine posts usw. unangetastet.
ich vermisse dich, nic. in liebe, bones.

Mittwoch, 20. Juni 2012

Zwei Kugeln Magersucht in einer Waffel, danke.

Nicht schon wieder. Bitte. Ich kann nicht - ich kann das einfach nicht noch mal durchstehen.
Mein Blick ist bittend, nein, flehend, doch meine Psychiaterin schüttelt nur leicht den Kopf. Sie flüstert mir zu, dass es ihr Leid tut, aber ehrlich gesagt bringt mir das herzlich wenig. Dabei ist es nicht so, dass es mich überrascht hätte - sie hatte ja bereits Andeutungen gemacht, dass ich wieder in die Klinik muss. Dummerweise habe ich mir Hoffnungen gemacht, es irgendwie abwenden zu können. Dumme, falsche Hoffnungen, wie sich jetzt herausstellt.
Den Weg von ihrem Sprechzimmer bis zum Ausgang gehe ich wie in Trance, sehe mich schon wieder meine Sachen packen, sehe das teilnahmslose Gesicht meiner Mutter vor mir, spüre schon jetzt den enttäuschten, verletzten Blick Lettys aus mir liegen. Rechts und links türmen sich die Flurwände auf, als würden sie gleich über mir zusammenbrechen wie tosende Wellen. Am liebsten würde ich mich irgendwo einkringeln.
Ich kann das nicht noch mal.

Hinter mir dröhnt irgendeine Stimme, die ich in meinem Loch aus Selbstmitleid ausblenden konnte. Doch sie wird Schritt für Schritt, den ich mich nach vorne schleppe, lauter. Bis ich sie nicht mehr ignorieren kann, bis ich das erste Mal richtig verstehe, was sie sagt. Es ist eine Mädchenstimme.
"Ey! EY! CLYDE!"
Ich drehe mich um und sehe das spitze Gesicht des Mädchens, das ich vor ein paar Tagen vor genau diesem Gebäude zum ersten Mal sah, näher kommen. Sie hört auf zu rennen, sie grinst.
"Wusste ich doch, dass du nich' wirklich Clyde heißt", raunzte sie mich an. Sie hat ihr braunes Haar schon wieder zu einem Zopf geflochten. Ich zucke wage die Achseln. "Hast du Bock auf 'n Eis?"
Eis? Jetzt? Irgendwie macht sie mich ziemlich sprachlos, die Gute.

Wir sitzen nebeneinander in der Fußgängerzone. Bonnie - die tatsächlich Bonnie heißt - verhindert gerade, dass ihr Eis, irgendeine Fruchtsorte, ihr von der Waffel über die Finger läuft. Meines ist in seinem Becher bereits zu einer undefinierbaren Suppe geschmolzen. Während sie die vorbeilaufenden Passanten beobachtet, mustere ich sie. Ich habe schon oft dünne Mädchen gesehen, aber Bonnie - Bonnie ist einfach unglaublich dürr. Vermutlich könnte ich meine Hand ohne weiteres um ihre beiden Oberarme schließen. Anstatt sich um mich zu kümmern, fängt sie die Blick einiger vorbeilaufender Teenagerjungs auf, von denen einer verstohlen auf uns zeigt. Auf uns, die Klappergestelle.
"Alter, hier gibt's nix zu glotzen!", schnauzt Bonnie ihn an, und sie gehen schnell weiter.
Unwirsch wendet sie sich zu mir. "Du starrst aber auch ganz schön, Niccilein."
Ich runzele die Stirn. Niccilein? Na wunderbar. Bevor ich irgendwas antworten kann, seufzt sie theatralisch.
"Keine Sorge, ich darf nächste Woche wieder in die Klinik. Danach geht's meistens wieder."
"Darf?", wiederhole ich überrascht. Ich habe das nie als etwas besonders erstrebenswertes gesehen - eher als Armutszeugnis.
"Klar darf. Die Klinik ist doch irgendwie schön." Sie betrachtet den Rest ihres Eises, zuckt mit den Schultern und steht auf, um es wegzuwerfen.

Ich bleibe sitzen und starre ihr nach.
Irgendwie schön.

"Vielleicht sehen wir uns nächste Woche in der Klinik, weißt du?", meine ich wage, als sie wieder kommt. Einen Moment lang sieht sie überrascht aus, dann breitet sich ein echtes Lächeln auf ihren Lippen aus.
"Ehrlich?"
Ehrlich, weil ich es nämlich schon wieder verbockt habe. Ich elender Versager. Aber sie ja auch, und sie wirkt absolut nicht, wie eine Versagertype. Ehrlich, Bonnie.
"Ehrlich."

Donnerstag, 14. Juni 2012

Es ist jedes Mal für immer.

Liege auf dem Bett, wälze mich hin und her. Das Kissen ist schon nass. Tränen? Schweiß? Nur Fragezeichen in meinem Kopf. Ein Albtraum jagt den nächsten. Jedes Mal, wenn ich die Augen schließe, die gleichen Bilder. Meine Arme jucken, ich kratze über die ohnehin schon raue Haut, bis sie anfängt zu bluten. Ich glaube, ich weiß, was das Kissen so feucht macht.
Die Nacht hinter meinen Lidern ist mir zu dunkel. Ich mache alle Lampen und Kerzen in meinem Zimmer an, doch hinter geschlossenen Augen ist es immer noch zu finster. Kein Ausweg, nirgends.
Etwas schnauft und schnaubt. Das Geräusch ist nicht zu ertragen, ich vergrabe meinen Kopf unter dem nassen Kissen, aber es wird nicht leiser. Ich bin es selbst. Ich bin der, der so heftig atmet.

Meine Eingeweide schmerzen vor Hunger, liegen verkrümmt irgendwo am Ende meines Körpers. Ich schüttle mich, als wollte ich meine Seele in mir klappern hören. Stürze Wasser durch meine trockene Kehle, bis ich das Gefühl habe, dass ich daran ertrinken müsse.
Ich reiße Schubladen auf und suche, suche nach alten Büchern, alten Heftern, alten Fotos. Nach Erinnerungen an andere Zeiten, die mir jetzt, so viele Jahre danach, wie glücklichere vorkommen. Lese Liebesbriefe, die nie abgeschickt wurden. Starre auf Gesichter, deren Lächeln auf den Fotos seltsam verschwommen aussieht. Romantisiere mir eine Welt, die eigentlich viel blinder ist, als ich zugeben will. Hänge alte Poster an die Wand, um sie wieder runter zu reißen. Will irgendwas zertrümmern und traue mich dann doch nicht, es zu tun. Schnaube, huste, heule.


Wo bist du? Warum bist du nicht hier?
Wie konnte es so weit kommen? Wer hat das zugelassen? Warum hat keiner versucht, uns aufzuhalten?
Wieso ist das alles nur passiert? An welchem Punkt unserer Geschichte konnten wir nicht mehr umdrehen? Was ist so schwer daran, mir zu sagen, dass alles gut wird?


ES IST SO VERDAMMT FINSTER.

Samstag, 9. Juni 2012

Was habt ihr von mir erwartet.

Blam. Schlag ins Gesicht.
Wann - und wie - ist das passiert? Wer hat zugelassen, dass es so weit kommt? Habe ich mich zu früh in Sicherheit gewogen? Meine Psychiaterin seufzt unglücklich, mustert mich für einen kurzen Moment - den Moment, den ich mich wieder fühle, als hätte mir jemand einen Strick um den Hals gewickelt und würde ihn langsam enger ziehen. Sie sagte, sie hätte sich das schon gedacht. Und dass wir jetzt zu anderen Maßnahmen greifen müssen.
Der Versuch, dass ich mich selbst langsam aber sicher heile, scheint gescheitert zu sein.
Versager.
Wieso wussten alle, dass es schlimmer wird - alle, außer mit selbst?

Die neue Vorgehensweise besteht darin, dass ich mich wiegen muss. Jeden Tag zwei Mal, morgens und abends. Ich schäme mich nicht, zu sagen, dass ich Angst vor der Waage habe. Das letzte Mal stand ich freiwillig darauf, lange bevor ich eine Woche in die Klinik musste. Wenn ich an sie denke, male ich mir hundert Sachen aus, die ich tun würde, um mir nicht mein Gewicht vor Augen führen zu lassen. Ich will es nicht sehen - will nicht sehen, wie mein Körper langsam aber sicher zerfällt, nur weil ich zu dumm und unselbstständig bin, für ihn zu sorgen. Wenn mein BMI wieder unter die 13 fällt, muss ich zurück in die Klinik - das heißt, ab jetzt wird alles dafür getan, damit genau das nicht passiert. Meine Psychiaterin scheint entschlossen, mir zu helfen - eine einzige, gute Seele, irgendwo zwischen dem Meer aus ausdruckslosen Gesichtern.

Als ich aus dem Gebäude komme, stoße ich mit einem Mädchen zusammen. Viel zu vergraben in dem ekelhaftesten Gefühl aller Zeiten - Selbstmitleid - registriere ich sie erst, als es schon viel zu spät ist. Ihre Tasche scheint aufgerissen zu sein, sie fängt an, mich grob zu beschimpfen. 
Ich murmele eine Entschuldigung, helfe ihr halbherzig, ihre Sachen wieder aufzusammeln.
"Kommst du gerade von der M.?", will sie plötzlich wissen, spuckt den Namen meiner Psychiaterin auf die Pflastersteine unter uns wie einen längst geschmacklosen Kaugummi. Jetzt sehe ich sie erst richtig an - dunkelbraunes Haar; zu einem unordentlichen Zopf geflochten, dünne Arme, weiter Rock, helle Augen; beinahe gelb. Sie hat etwas von einem Adler, während sie mich mit ihrem scharfen Blick durchlöchert, und unguter Weise habe ich sofort das Gefühl, dass sie einer dieser Menschen ist, die augenblicklich alles über mich wissen.
Also nicke ich nur stumm. Wir sehen eine Weile einander an, dann zuckt sie die Schultern und will gehen.

"Warte - wie heißt du?"
Es ist mir rausgerutscht. Ihr triumphaler Gesichtsausdruck und das Grinsen auf ihren blassen Lippen, als sie sich umdreht, machen mir deutlich, dass sie darauf nur gewartet hat.
"Bonnie. ...du?"
Na klar. Bonnie. Ich runzelte ärgerlich die Stirn - verarschen kann ich mich eigentlich selber. 
"Clyde", gebe ich zurück. 
Ihr Grinsen wird breiter - meins leider auch. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren huscht sie davon.

Und lässt mich alleine. Dort, wo ich drohe, in Verzweiflung zu ertrinken.
Für einen Moment war die Welt ein bisschen weniger dunkel gewesen.

Freitag, 1. Juni 2012

Ein Schritt nach dem Anderen.

Ich bin auf dem Rückweg von meiner Stunde mit der Psychologin, die ich jetzt vier Mal in der Woche sehe. Ich glaube, das ist in Ordnung, es hätte mich schlimmer treffen können. Das Gefühl, dass es so hilfreich wie Vorträge über natriumarmes Mineralwasser sind, werde ich trotzdem nicht los. Es ist nicht so, dass ich sie nicht leiden kann - sie hört wunderbar zu, wenn sie erstmal aufhört, selber zu reden. Ich komme gut mit ihr aus, anders, als mit meiner Ärztin. Aber etwas steht noch zwischen uns.
Wenn ich nur wüsste, was - dann könnte ich uns beiden besser helfen.
Auf dem Rückweg zur Wohnung komme ich an der Straße vorbei, die man entlangwandern muss, um zu dem Berg zu kommen. Meinem Berg (alle, die nicht wissen, wovon ich rede, sollten sich diesen Eintrag durchlesen). Für einen Moment bleibe ich stehen, frage mich, ob es dumm wäre, jetzt schon zu versuchen, ihn rauf zu rennen.
Ich ziehe die Schultern hoch, wende mich ab und gehe nach Hause.
Für einen Moment bin ich der hoffnungsloseste Mensch in der ganzen Stadt.

Aber irgendwas hat es in mir wach gerüttelt. Man kann mich jetzt für verrückt halten - wie kann ein einziger Blick auf eine Straße an einem ganz normalen Tag jemanden so verändern? Ich weiß es nicht. Und vielleicht bilde ich es mir auch nur ein, gut möglich.
Dennoch ist mir so, als hätte der Ablick des Berges, den ich fast vergessen hatte, etwas in mir wach gerüttelt. Als hätte er mich an mein Versprechen erinnert.
Daheim koche ich Letty und mir etwas zum Mittag, sie guckt mich zuerst leicht ungläubig an - vermutlich weiß sie auch nicht mehr, wann ich das das letzte Mal gemacht habe. Wir essen, ohne viel zu reden, ich spüle danach das Geschirr. Mein Bauch, der sonst immer so leer ist, fühlt sich... normal an. Ich betrachte ihn, nur so von oben herab, ganz unauffällig. Normal ist plötzlich ein ziemlich schönes Gefühl. Beim Händewaschen überlege ich mir, jetzt auf die Waage zu steigen - lasse es dann aber doch bleiben. Ich erinnere mich daran, es langsam angehen zu lassen.

Gegen Abend spiele ich mit meiner kleinen Schwester Scrabble. Als sie zu Bett geht, lese ich ein wenig, gehe irgendwann an den Computer. Google nach Sport, den ich machen könnte, ohne, dass meine Ärztin es bemerkt, und finde nichts.
Lese mir eure Kommentare durch.
Bin glücklich, glaube ich.