OH GOD ; I TRIED ; AM I LOST IN YOUR EYES ?

hi Leute, der schreiber dieses blogs ist nicht mehr am leben, aber ich lasse hier vielleicht ab und an mal was durchblicken. abgesehen davon lasse ich aber alle seine posts usw. unangetastet.
ich vermisse dich, nic. in liebe, bones.

Montag, 30. April 2012

Krieg in meinem Kopf.

Als ich aufwache, dröhnt mir der Schädel. Die anfangs so verschwommenen Linien nehmen Gestalt an, und ich erkenne Clarisse, die neben mir sitzt und scheinbar lesend darauf gewartet hat, dass ich wach werde. Einen Moment beobachte ich die große Schwester meiner kleinen Halbschwester, mit der ich nicht direkt verwandt bin, mir aber trotzdem gemeinsam mit den anderen die Wohnung teile. Sie sieht ein bisschen fertig aus, ganz so, als hätte sie letzte Nacht wenig Schlaf bekommen. Noch ehe ich mich entscheiden kann, ob ich so tue, als ob ich weiterschlafe, oder nicht, hebt sie den Blick und sieht mich an. Sie zögert, dann breitet sich ein mitfühlendes Lächeln auf ihren Lippen aus. Sie legt ihr Buch weg und fragt mich mit gefalteten Händen, wie es meiner Schulter ginge.

Meine Schulter? Ich runzle die Stirn, hebe meinen rechten Arm an und - fahre zusammen. Schmerz durchzuckt mich von oben bis unten, ich fluche leise. Mit zusammengebissenen Zähnen erkundige ich mich, was passiert ist. Clarisse hat jetzt aufgehört zu lächeln, sondern sieht mich eher ungläubig an. In dem Moment, in dem sie mich fragt, ob ich denn wirklich gar nichts mehr weiß, fällt mir langsam aber sicher wieder etwas ein. Die Erinnerungen an die Party werden wach, etwa zwei Minuten, nachdem ich die Augen aufgeschlagen hatte.

Gestartet war alles eigentlich optimal. Wider Erwarten hatte ich Martens, Daniel und Mathis nicht verpasst, wir waren zusammen in dem Club angekommen, ich wurde hier und da mit einem einem fröhlichen Schulterklopfen oder Nicken begrüßt. Nachdem ich den ersten Cocktail, den mir ein Mädchen in die Hand gedrückt hatte, einem anderen geschenkt hatte, kam mir kein Alkohol mehr unter. Das riesige Buffet am Rand des Raumes sah so wenig einladend aus, wie noch nie, dafür waren die Leute unglaublich offen. Schnell hatten Mathis und ich ein Gespräch mit zwei Mädchen aus Clarisses Stufe - eine unter uns - angefangen. Die eine, Cassy genannt, fragte mich, ob ich mit ihr tanzen würde, und ich willigte ein. Woran auch immer es lag - am Licht, der Musik, der stickigen Luft - hatte ich weniger Bedenken, was das anging, als dass mir doch noch von irgendwo her Alkohol zugeflogen kommen würde.

Und dann? Wieder ein fragender Blick Richtung Clarisse. Sie seufzt. Nachdem sie fertig mit erzählen ist, sitze ich mit ungläubigem Gesicht in meinem Bett und starre sie an. So, wie es sich anhörte, war Cassys Freund aufgetaucht, hatte uns tanzen sehen und daraufhin eine Prügelei gestartet, die darin geendet hatte, dass Martens ihn auf die Bretter gehauen hatte. Ich fühle einen bitteren Geschmack auf der Zunge. Clarisse erzählt weiter, dass ich nach dem ganzen ziemlich benommen gewesen wäre. Eine knappe Stunde später hätte sie mich nach Hause geschleppt.

Ich könnte alles fragen. Wie spät es jetzt war, wie es Martens geht, ob er diesem Freund etwas gebrochen hatte, was Cassy zu alledem sagte. Warum Clarisse auf einer Party ab 18 gewesen war und dass ich ihr dankbar für die vermeintliche Rettung bin. Die einzige Frage, die ich ihr stelle, scheint sie aus der Bahn zu werfen. Sie steht auf, nimmt ihr Buch in die Hand und geht schnell zur Tür. "Du hättest dir echt wehtun können, verdammt!", zischt sie, ihre Stimme klingt trotz der geringen Lautstärke irgendwie schrill, "und das einzige, was dich interessiert, ist, ob du noch vom Buffet gegessen hast?! ...im Ernst jetzt, du hast sie doch nicht mehr alle!"
Sie reißt die Tür auf, ich sehe ihren Bauchspeck in dem engen Partytop, das sie immer noch trägt, hüpfen. 
"Gute Nacht, Nic!"

Gott, ich weiß doch auch nicht, warum.

Samstag, 28. April 2012

Wen nennt ihr hier schwach?

Sie lachen, als sie merken, dass ich den Fisch nicht aus dem Wasser gezogen bekomme. Ehrlich gesagt - ich finde das irgendwie auch zum Grinsen. Da fischt man Monat um Monat, belächelt Mathis, der irgendwie nichts mit einer Angel auf die Reihe bekommt, nimmt ein paar Dutzend Kilo ab und schon kriegt man nicht mal mehr seinen Fang aus dem Wasser? Ich zerre ein wenig an der Rute, wie es die Anfänger machen, kassiere dafür einen Rüffel von Martens, der mir schließlich die Angel wegnimmt und den Fisch an Land zieht. Später sitzen wir um unseren Fang herum, ich bin mittlerweile nicht mehr so amüsiert aufgelegt, sondern mache mir so meine Gedanken.
Gestern erst wurden mir meine Grenzen mehr als überdeutlich aufgezeigt, heute schon wieder. Ich frage mich ernsthaft, ob das nur an meinem Gewichtsverlust liegen kann - ich habe keine Erfahrungen damit. Irgendwo, ganz tief unten im Bauch, knäulen sich Sorgen und Zweifel zusammen, werden schwerer und schwerer. Was, wenn es an den Nieren liegt? Was, wenn es schlimmer wird? Was, wenn ich irgendwann nicht mal mehr schaffe, die Angel ordentlich auszuwerfen?

Es ist zumindest beruhigend, dass dieser Problemfisch letztenendes der größte ist, den wir heute gefangen haben. Mathis fängt wieder an, über diese Party zu reden, die morgen stattfinden soll. Ich finde es stumpfsinnig, zu feiern, bevor alle Prüfungen vorbei sind, aber vermutlich bin ich auch einfach nicht der passende Mensch dafür. Zu meiner Überraschung ist Martens aber ziemlich begeistert - Daniel wollte sowieso dorthin. Da steht es drei gegen einen und sie bitten mich, mit zu kommen. Alle Argumente, die ich in dem Moment bringen kann, sind, dass wir am Mittwoch wieder schreiben müssen, die nicht meine Musik spielen und ich aktuell ohnehin nicht in Bestform bin. Aber was nützt es mir? Nichts. Sie überreden mich tatsächlich. Ich willige ein, mich mit den Menschen meines Jahrgangs - von denen ich nur die Hälfte beim Namen kenne, weil ich erst ein Jahr dort bin und wir wirklich enorm viele sind - morgen Abend auf engstem Raum zusammen zu finden, natürlich möglichst wenig bekleidet, im Falle der Mädchen möglichst auffällig geschminkt, zu möglichst lauter Musik, in möglichst rasendem Takt.

Es ist nicht so, dass ich nicht gerne unter Leute gehe. Das Problem sind eben einfach die Leute - abgesehen von Martens, Mathis und Daniel, sowie ein paar Freundinnen von Clarisse kenne ich kaum jemanden dort. Ich darf kein Alkohol trinken, lasse mir aber viel zu leicht welchen andrehen. Ich darf nicht so viel tanzen und das, was man eben auf solchen Partys macht, lasse mich aber viel zu schnell dazu überreden, es doch zu tun.
Ich bin mir so verdammt unsicher, dass ich wieder nicht schlafen kann.
Ich hoffe nur, ich mache morgen Abend keine Dummheiten.

Freitag, 27. April 2012

Ich komme zurück, wenn ich bereit bin.

Ich stehe vor dem Schild, das mir anzeigt, dass es noch etwa 7 Kilometer bis zu Bergspitze sind. Ich drehe mich um, blicke zurück. Wie viel bin ich schon gelaufen? Ich hätte mich vorher informieren sollen. Aus einem spontanen Spaziergang ist eine Art Wettlauf mit mir selbst geworden. Ich hatte nur Luft schnappen und die Sonne genießen wollen, so lange sie noch da war.
Aber dann hat er mich gepackt. Dieser Wunsch, wieder zu laufen. Egal wie krank, egal wie vernünftig, ich musste es einfach tun. Alles hinter mir lassen. Alles zu vergessen, wenn auch nur für den Moment, in dem mir der Wind ins Gesicht schlägt. Ich bin los gelaufen.
Schneller. Weiter.

Jetzt sind sie weg, diese Kräfte, die mich getragen haben. Mein Herz schlägt unruhig, mein Bauch tut unheilvoll weh. Meine Beine, so dünn sie geworden sind, scheinen auch jede Erinnerung an die Zeit verloren zu haben, an der so eine Strecke eine leichte Übung für sie gewesen ist.
Ich schnaufe, ich halte mich an dem Schild fest. Mir ist schlecht. Ich kann nicht weiter.
Langsam drehe ich mich um und mache mich an den Abstieg. Ich komme quälend langsam voran, ich frage mich, wie ich so gedankenlos hier hoch habe rennen können. Meine Ärztin würde mich vermutlich ohrfeigen - nein, sie wird es. Denn irgendwie findet diese Frau alles heraus, zumindest alles, was "Außen" betrifft.

Aber "Innen" bleibt nur für mich zu verstehen. "Innen" gehört mir.
Ich liege auf dem Bett, doch ich kann nicht schlafen. Ich wälze mich hin und her. Ich denke an den Berg. Ich denke daran, dass ich ihn früher ohne Mühe hätte hoch laufen können. Die Erinnerung scheint so lange her zu sein, dabei sind es bestimmt nicht einmal 6 Monate. Sogar das Zurückrechnen fällt mir schwer, alles scheint so fern von der Realität, so schwer vorstellbar, wie das Behandeln irgendeines Umstandes aus dem 30- Jährigen Krieg.
Ich hoffe nicht, dass mein Krieg so lange dauern wird - aber ich weiß, dass ich ihn diesem Berg hiermit erklärt habe. Irgendwann, das weiß ich, bin ich wieder so gesund, dass ich diesen Berg hoch laufen kann, ohne die ganze Nacht mit rasendem Herzen und weit geöffneten Augen im Bett zu liegen.

Donnerstag, 26. April 2012

Was sich verändert hat.

Seit ich um Silvester herum abgeklappt bin und festgestellt wurde, dass ich an Nierenversagen leide, hat sich vieles verändert. Ich möchte nicht sagen, dass mein Leben vorher wundervoll war und das alles zerstört hat, aber ich gebe zu, dass es mir fehlt - das "alte" Leben, so verhasst es damals gewesen ist. Ich erinnere mich daran, als ich den Post von A l l y lese, schüttle den Kopf, versuch aufzuhören; zu denken, tu's nicht.

Die letzten Donnerstage habe ich im Krankenhaus oder mit lernen verbracht, deshalb weiß ich nicht, wie lange ich schon nicht mehr hier gewesen bin. Ich sitze auf der Treppe zur Halle, als Frau D., die Tanzlehrerin, kommt. Für einen Moment lang sieht sie geschockt aus - ich weiß nicht, wieso. Wegen mir? Meinem Aussehen? Oder einfach, weil sie nicht erwartet hätte, mich nach längerer Zeit doch noch mal zu sehen? Dann lächelt sie aber, etwas gezwungen vielleicht. Sie sagt, sie freut sich, dass ich wieder da bin. Fragt, ob es mir gut geht. Und ich nicke. Natürlich nicke ich.
Tanzen ist so ziemlich die einzige Sportart, die mir noch geblieben ist. Wegen der Nieren darf ich nicht mehr segeln, nicht mehr Basketball spielen, nicht mehr joggen, kein Schulsport, kein Karate. Aber Standardtänze - Walzer, Tango, wie sie alle heißen - hält meine Ärztin für unbedenklich. Trotzdem bemerke ich, wie mir die Panik kommt. Es ist Wochen, vielleicht sogar Monate, her, dass mich meine Tanzpartnerin gesehen hat. Ich denke an die Tänze, an denen wir uns nahe sind. Das ist bisher nie ein Problem für mich gewesen - wir haben uns gut verstanden, sie ist eine gute Tänzerin, freundlich und vielleicht ein bisschen zu sehr wie Letty - aber jetzt verursacht es den Wunsch in mir, wegzulaufen. Ich will nicht - ich weiß nicht. Ich glaube, ich möchte nicht, dass sie merkt, wie viel sich verändert hat, nur, weil sie meine Schulter anfassen muss.

Doch ich muss da durch. Jetzt oder nie. Es ist der einzige "Sport", der mir geblieben ist.
Als sie mich sieht, breitet sich ein Grinsen auf ihrem Gesicht aus, von einem Ohr bis zum anderen. Sie ist froh, mich zu sehen, erzählt, dass sie die letzten Wochen immer mit der Lehrerin tanzen musste, weil ihr Partner - ich - gefehlt hat. Ich entschuldige mich, sie winkt ab.
Wir tanzen, und es ist furchtbar. Ich bin furchtbar. Ich scheine nicht nur alles verlernt zu haben, sondern auch hoch sensibel geworden zu sein. Es muss nur jemand von hinten meinen Rücken anstupsen, um mich auf meine Haltung aufmerksam zu machen, und ich zucke zusammen. Als würde man mich abstechen wollen. Am Ende wirkt sie irgendwie enttäuscht, und es tut mir Leid.
Als die zwei Stunden vorüber sind, fragt sie mich, ob ich nächste Woche komme. Ich sehe sie an, ich weiß nicht, was sie hören will. Würde sie ein ja freuen, oder wäre sie erleichtert, wenn ich nein sage? In einem bin ich mir sicher - früher hätte sie mich das nicht gefragt. Sie wäre davon ausgegangen.
Ich antworte, dass ich es nicht genau weiß, wegen meiner Prüfungen. Sie nickt, sie sieht ein kleines bisschen verstört aus. Sie tut mir Leid.

Mittwoch, 25. April 2012

Jungs reden über so was nicht.

Wir hätten wieder angeln gehen können, wie wir es oft tun. Mir gefällt angeln, man muss nicht viel machen - nur auswerfen, still sitzen, warten. Dieses Mal haben wir uns nicht am Wasser getroffen. Das Wasser erinnert mich immer an den einzigen Ort, den ich unter den vielen, an denen wir schon gelebt haben, wirklich mochte. Der Ort, an dem ich segeln konnte. An dem ich die Illusion hatte, frei zu sein, wenn auch nur für wenige Stunden auf dem Wasser. Der Ort, an dem ich Cilli hatte.

Daniel und Mathis brauchen ein paar neue Klamotten, und auch ich habe nach langem Hin und Her beschlossen, etwas Geld mitzunehmen. Wir klappern ein paar Geschäfte ab, aber keiner von uns kommt wirklich zum Punkt. Wir müssen merkwürdig aussehen, unter den ganzen sommerlich gekleideten Menschen, den Mädchen mit ihren knalligen Taschen, Sonnenbrillen und hohen Schuhen, den Jungs mit ihren bunten Cappys, tief sitzenden Hosen und ihren unter den Arm geklemmten Skateboards. Wir sind einfach vier normale Kerle, zwei davon viel zu groß, einer davon zusätzlich viel zu dürr.
Ich versuche, die Sonne zu genießen, denn eigentlich ist sie doch etwas schönes. In einem Geschäft probiere ich ein paar T- Shirts an, doch sie sind alle zu weit und hängen mir von den Schultern, als hätte jemand sie an beiden Enden gepackt und daran gezogen, damit sie wie ausgeleiert sind. Früher waren sie mir maximal zu kurz, weil ich so groß bin. Ich gucke nicht mal in den Spiegel, der in der Kabine ist.
Mathis, der ein paar Hosen anprobiert hat, will sehen, wie uns unsere Sachen stehen. Mathis ist immer so. Es trägt zur Stimmung bei, aber es kann auch unglaublich unangenehm sein.Wie jetzt.

Ich ziehe mich schnell wieder um. Das ist nichts für mich - das alles hier - und erst recht nicht diese Kleidung. Als wir das Geschäft verlassen, sehe ich Daniel, Martens und Mathis kurz an. Für einen Moment frage ich mich, ob sie eigentlich bemerkt haben, wie dünn ich bin. Ob sie sich fragen, warum. Oder ob ich mit ihnen darüber sprechen sollte - ob ich ihnen sagen sollte, dass ich Schiss habe, dass ich mich nicht mehr ansehen will, dass ich mir Sorgen mache, dass ich keinen Elan finde; diese Sorgen zu besänftigen.
Ich mache den Mund auf.
Ich mache den Mund zu.
Wir gehen in das nächste Geschäft, dieses Mal probiere ich nichts an, sondern bleibe neben einem Kleiderständer stehen und denke an nichts. Bis ich wieder zu Hause bin.

Ich bin ihnen nicht böse, dass sie mich nicht darauf ansprechen. Ich bin dankbar. Ich kann es verstehen. Es wäre mir unangenehm. Es wäre, als würden wir plötzlich anfangen, über unsere Schwächen zu reden. Das will ich bestimmt nicht.
Ich hoffe trotzdem, dass es nur ihre Münder sind, die so fest verschlossen bleiben, und nicht ihre Augen.

Dienstag, 24. April 2012

Ihr Sohn lächelt nicht.

Ich schwöre, dass es schon so einige Momente in meinem Leben gab, in welchen ich sie gern in der Schule gehabt hätte - zu irgendwelchen Grillpartys, Leistungsbesprechungen oder Motivationsgesprächen. Sie hatte nie Zeit, sie musste immer arbeiten.
Heute nimmt sie ihre vermutlich letzte Chance wahr, bevor ich Ende Mai mit der Schule abgeschlossen haben werde, und geht zum Elternsprechtag. Ich komme mit. Wir gehen schweigend nebeneinander her, und als ich auf dem Flur Daniel mit seinen Eltern sehe, wage ich nicht mal, ihm "Hay" zu sagen, sondern hebe nur kurz die Hand. Wenn meine Mutter neben mir ist, habe ich das Gefühl, verstummt zu sein, beinahe, als hätte man mir die Zunge aus dem Mund geschnitten und sie ersetzt durch einen großen, widerlichen Kloß, der einem sogar am Schlucken hindert.
Meine Tutorin sieht sie das erste Mal und ist sofort hin und weg. Keiner glaubt meiner Mutter, wie alt sie ist. Sie hat mich nicht so jung bekommen, dass man sie für eine dieser Frauen halten würde, aber trotzdem nicht so spät wie die Durchschnittsmutter. Es muss ja für jeden Menschen eine Sache geben, die er perfekt kann.
Das Gespräch verläuft verdächtig steil abwärts. Es geht um meine Leistungen, an denen meine Tutorin nichts auszusetzen hat. Ich schon. Ich weiß, dass ich all das verdammt noch mal viel besser könnte, wenn man mich nicht dauernd ins Krankenhaus schleppen würde (müsste?). Oder in die Psychiatrie. Oder wo sie mich sonst noch überall hinstecken.
Meine Mutter nickt nur, sagt, dass sie stolz auf mich ist. Ich kann sie nicht ansehen. Sie mich auch nicht. Ich weiß genau, dass sie lügt. Sie sagt es nur, weil meine Lehrerin es von ihr erwartet.
Die wirkt am Ende recht unzufrieden. Sie dreht sich ein wenig auf ihrem Stuhl, neigt leicht den Kopf, sieht mich kurz an und schaut wieder zu meiner Mutter. Dann sagt sie doch, was sie auf dem Herzen hat - dass ich zu wenig lächeln würde. Dass ich humorlos wäre. Dass sie sich Sorgen machen würde, ob mir das alles ein wenig zu viel wäre.

Moment. Mir. Das alles zu viel. Bevor ich was antworten kann, schüttelt meine Mutter den Kopf. Ich möchte sie auf der Stelle packen und schütteln. Ich möchte sie fragen, was sie sich dabei denkt. Wie sie es wagen kann. Ich bin so wütend, dass ich keinen Ausdruck finden kann.
"Das liegt an der Musik, die er hört", antwortet sie mit einem feinem Lächeln, "dieses laute Geschrei und Gebrülle."

Halt, stopp, alles auf Anfang.
Ich habe Nierenversagen und kriege kein Spenderorgan, ich kümmere mich um drei pubertierende Mädchen, ich verliere täglich weiter an Gewicht, ich schreibe Abitur, ich trauere meiner beschissenen Exfreundin nach, und der Grund, warum ich nicht lächeln kann ist - die Musik, die ich höre?!

Meine Tutorin sieht mich an, als erwartet sie eine Bestätigung von mir. Und ich? Nicke.
Ich Volltrottel.

Montag, 23. April 2012

Wochenstart, das Spiel beginnt.

Da sitze ich also, Hände gefaltet, Haar nach hinten gekämmt, und gucke sie an. Sie guckt zurück. Wir starren uns eine Weile gegenseitig an, bis sie dann doch nachgibt und sich umdreht, dorthin, wo ihre Unterlagen liegen. Nach einer kurzen Pause fragt sie mich, wie es mir geht, und ich antworte das gleiche, wie immer: "Ganz gut".
Dass sie damit nicht zufrieden ist, ist ja wohl klar.
Ich bin immer noch der Meinung, dass ich nicht zur Psychiaterin muss - die soll ihre Zeit lieber an Menschen verschenken, die wirkliche Probleme haben. Um das mal aufzuklären - es ist eigentlich nur passiert, weil ich Streit mit meiner Mutter hatte. Sie sagte mir, dass sie wieder umziehen würde, und ich sagte daraufhin, dass sie das Letty nicht antun kann. Nicht schon wieder. Das Mädchen ist erst 12 und schon öfter umgezogen, als die meisten Menschen in ihrem gesamten Leben. Daraufhin wurde sie wütend. Wenn meine Mutter wütend wird, ist sie lange zeit ganz still. Als dann meine behandelnde Ärztin angerufen hat, bat meine Mutter sie darum, einen Termin in der Psychiatrie festzumachen. Für mich natürlich - dabei ist sie es, die sich mal gründlich untersuchen lassen sollte.
Die Psychiaterin ist eigentlich eine nette Frau. Es freut sie, dass ich so sehr an ihrer Arbeit interessiert bin - das ist nämlich der Trick: von sich selbst ablenken. Ich spiele ein Spiel mit ihr. Und sie spielt mit.
Sie sagt, ich bin wieder dünner geworden. In ihrer Stimme schwingt ein unheilvoller Ton mit. Ob sie deshalb sauer auf mich ist? Dass ich weiter abnehme? Dass ich - der doch so furchtbar "erwachsen" und "kompetent" auf sie wirkt - nicht das tue, was sie von mir erwartet? Oder macht es sie traurig?
Ich beuge mich ein bisschen vor und antworte, dass ich gerade Abitur schreibe. Dass das mit Stress verbunden ist. Und ich lächle.
Sie soll nicht so enttäuscht von mir sein. Nur getäuscht.

Sonntag, 22. April 2012

Augen zu, Ohren auf.

Ich liege auf meinem Bett, starre die Decke an und weiß nicht, was ich denken soll. Cilli hat mich angerufen, eben gerade - nachdem sie sie sich mehr als zwei Wochen nicht gemeldet hat. Das letzte Mal, bei dem wir uns getroffen haben, sind wir mehr oder weniger im Streit auseinander gegangen. Ich weiß nicht, wo sie ist, und als ich sie danach frage, lacht sie nur. Hinter ihr rauscht es - Autobahn? Meer? Wald? Radio? Zug? - aer mehr erfahre ich nicht. Wir reden nicht lange, wir sind beide keine Telefonmenschen.
Ich hatte mir fest vorgenommen, sie nicht zu fragen, ob sie bald wiederkommt, irgendwann mal. Ich tue es trotzdem. Sie lacht nur wieder. Sie sagt, ich kann nicht immer darauf warten, dass sie zu mir kommt. Sie hat Recht. Sie macht mich wütend.
Als ich auf den roten Hörer drücke, knurrt mein Magen. Es ist ein Geräusch, an das ich mich schon gewöhnt habe. Ich lege meine Hand drauf und starre die Decke an. Ich weiß nicht, warum ich das mache. Ich könnte aufstehen und Letty und mir was zu Essen kochen. Meine Mutter würde sich bestimmt freuen, dass sie es nicht machen muss, wenn sie nach der Arbeit nach Hause kommt. Ich bleibe liegen. Wie soll ein Mensch auch essen, wenn er so viele Sachen im Kopf hat?
Vielleicht kann mein Körper ja anfangen, sich von dem ganzen Müll, der sich in meinem Hirn zu einem Einheitsbrei versammelt, zu ernähren. Oder er lässt es bleiben.
Ich liege auf meinem Bett, starre die Decke an und weiß, dass heute wieder einer der Tage sein wird, an denen ich keinen Bissen runter bekomme.